SCHLEIFAHRT 2025
+++Anmeldungen sind erst nach Versand der Einladungen im Jahr 2025 möglich+++
Wir fahren auch 2025 wieder mit der „Wappen von Schleswig“ drei Stunden auf der Schlei.
Es geht los am Freitag, dem 12. September 2025, um 18:00 Uhr von der Anlegestelle.
Unterwegs sorgen wir für das leibliche Wohl mit dem sehr beliebten Schlemmer-Buffet.
Der Kostenbeitrag beträgt voraussichtlich 39,50 € pro Person.
Wir freuen uns schon jetzt auf gutes Wetter und einen wunderschönen Abend.
Melden Sie sich bitte nach Erhalt der Einladung beim 1. Vorsitzenden Rainer Fricke per Mail oder telefonisch unter 04621 41210 und 0151 42080414 an.
Der Versand der Einladungen erfolgt im Juli 2025.
Kriminalkömödie „Heringstage“
Am 16.05.2025 um 19:30 Uhr in der Trauminsel wird die Kriminalkomödie „Heringstage“ gespielt. Eine Einladung erfolgt mitte März.
Auswahl Kritiken
NACHTKRITIK: Leserinnenkritiken: Das Paradies der Ungeliebten am SHL Schleswig
901Reiner Schmedemann16.12.2024 08:03
Am Sonntag hatte „Das Paradies der Ungeliebten“ des Wiener Autors Robert Menasse am SHL-Premiere. Dieses Auftragswerk des Burgtheaters, wurde dort nicht gespielt, weil es angeblich zu „kabarettistisch“ und nicht „brisant“ genug war. 2006 erfolgte die UA dann in Darmstadt.
Das Stück spielt im fiktiven Dänemark wie Shakespeares „Hamlet“ und noch immer „ist etwas faul im Staate Dänemark“. Diese „staatspolitische Fäulnis“ hat sich mittlerweile auch in Deutschland breit gemacht.
Was kann passieren, wenn der Rechtspopulismus die Demokratie unterwandert? Oder mit den Worten Menasses: „Es wird sich entscheiden müssen, welcher Typus Europäer die Zukunft bestimmt: der universale Europäer oder der eindimensionale Europäer. Das heißt: ob auf diesem Kontinent in Zukunft Menschenrecht oder Faustrecht herrscht.“
In dieser Politsatire haben Politiker keine Macht, sie verwalten Ämter. Ein hilfloser Kanzler, eine besessene Vize, ein demagogischer, rechtspopulistischer Oppositionsführer, ein gescheiterter Schauspieler, der auch politisch nicht überzeugt; sie alle meistern Europa nicht. Sie lassen sich wählen aus Gier nach Macht und wälzen ihre Verantwortung auf „Sachzwänge“ ab. Ein politischer, hitzköpfiger Verleger plant ein Attentat. Doch was ist politischer Mord, wenn die Politik tot ist? Eine Farce oder eine Mär? „Obwohl sie gestorben sind, leben sie noch immer“. Diese Politsatire zeigt die Demokratiedämmerung Europas und ist 18 Jahre nach der UA hoch aktuell.
Joanna Lewicka Theaterpreisträgerin („Der Faust 2024“) für beste Schauspielregie inszeniert das Stück als bildgewaltige, surrealistische Politsatire im Zerrspiegel unserer Gegenwart. Gespielt wird in einem düsteren, kerkerähnlichen Raum in den grüne Schlingpflanzen einwuchern und kaltes, entlarvendes Neonlicht von der Decke strahlt (Bühne/Kostüme: Norbert Bellen). J. Lewicka setzt auf visuelles Theater, das stark mit Bewegung, Musik (Duncan Ó Ceallaigh) und Masken arbeitet. So erwachsen bildgewaltige Tableaus, indem sie das Tempo verlangsamt, die Poetik einzelner Situationen ins Zentrum rückt, statt auf Handlung zu fokussieren. Es entsteht eine Inszenierung der Reflexion, da im Zuschauer Bilder und Assoziationen erwachen, in dessen Zentrum der moderne Mensch steht. Die Bildersprache Lewickas verleiht dem Menasse-Text emotionale Sprengkraft und macht diese Inszenierung für den Zuschauer zur emotionalen Erfahrung. Lewicka zielt auf unser limbisches System mit Bildern, die Emotionen erwecken und somit nachhaltige Engramme bilden. In dieser Inszenierung wird mit Stirnlupe und Skalpell gearbeitet, um die Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur bloßzulegen und die perfiden Mechanismen populistischer Demagogen freizulegen und es wird sichtbar wie schwer es wird in einer immer mehr entmenschlichten Welt seinen Platz zu finden.
Das Ensemble (Maja Grahnert, Friederike Pasch, Dennis Habermehl, Martin Maecker, René Rollin, Aaron Rafael Schridde und Tom Wild) sind die Garanten für diesen fantastischen Theaterabend. Sie haben die Herausforderung angenommen – minutiös an jeder Bewegung, Geste, Mimik und Sprachgestaltung zu arbeiten – um bildgewaltiges Theater zu erwecken, das für den Zuschauer unmittelbar erlebbar wird. Es sei nur eines dieser gewaltigen Bilder erwähnt, die Szene vom Paradies der Ungeliebten – einer Schlangenfarm. Der Clou der Inszenierung ist, dass Lewicka die Story der Gefahr rechtspopulistischer Politiker von den paradiesverheißenden Bildern in den Köpfen ihrer Follower mit Bildern erzählt.
Das Stück endet mit Shakespeare „Der Rest ist Schweigen“ und einem entzündeten Streichholz, das erlischt – Black Out! Dieses Ende drückt Ratlosigkeit und vielleicht sogar das Unvermögen aus sich in einer Welt demagogischer Populisten zu behaupten, sofern wir nicht bereit sind, die paradiesverheißenden Bilder der Populisten zu hinterfragen und zu entzaubern. Das Publikum dankte mit starkem, rhythmischem Applaus. Bravo & Merci!
NACHTKRITIK: Leserkritiken: Kalter Weißer Mann, Rendsburg
#899Reiner Schmedemann 01.12.2024 11:14
Nachdem Erfolg „Extrawurst“ von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob am SHL folgt nun deren neues Stück „Kalter Weißer Mann“. Das Stück hatte im April diesen Jahres seine Uraufführung am Renaissance-Theater in Berlin. Nun steht es auf den Brettern des SHL.
„Einmalig! Der Tod kommt nur einmal. Damit kann man leben!“ insbesondere, wenn man 94jährig friedlich einschläft, wie der Chef eines mittelständischen Bekleidungsunternehmens (Unterwäsche). Sein Nachfolger Horst Bohne, Geschäftsführer (Felix Ströbel) organisiert die Beisetzung. Doch die geplante Trauerfeier läuft aus dem Ruder, weil der Text der Trauerschleife zu heftigen Irritationen führt: „In tiefer Trauer. Deine Mitarbeiter“. Schnell hat der neue „alte weiße aber noch nicht kalte Mann“ (Felix Ströbel) seine Marketing-Leiterin Alina Bergreiter (Annika Utzelmann), den Social-Media-Chef Kevin Packert (Tomás Ignacio Heise) und seine Sekretärin Rieke Schneider (Illi Oehlmann) gegen sich und letztendlich auch die selbstbewusste Praktikantin Kim Olkowski (Julia Bella Berchtold). Vor uns, dem Theaterpublikum, als versammelte Trauergemeinde zerfleischt sich in dieser skurrilen Farce schließlich die Führungsmannschaft der Firma immer mehr und auch der verzweifelte Pfarrer Herbert Koch (Reiner Schleberger) kann die Wogen nicht glätten.
Es entfacht sich eine hoch aufgeladene Kulturdebatte über das Gendern, Sexismus und politisch korrektes Verhalten. Mit scharfem Blick und lustvoller Hingabe zeichnen die Autoren die Abgründe, Fallstricke und rhetorischen Kniffe der aktuellen Diskussion über soziale Umgangsnormen und ihre menschlich-allzu-menschlichen Ursachen. Wecken aber auch die Sehnsucht nach aufmerksamen und respektvollen Umgang miteinander.
Die Inszenierung am SHL übernimmt Jörg Gade im Bühnenbild und Kostümen von Martin Apelt. Das Bühnenbild dem Anlass angemessen eine Bestattungskapelle in grau gehaltenen Marmortönen und die Trauergemeinde in schwarzem Outfit – düster, trostlos und konventionell. Jörg Gade nimmt den Comedian Lobrecht beim Wort: „Gender-Sternchen! Super, endlich sind auch Stars wie ich mitgemeint.“ und legt einen amüsanten, teils bissigen Abend der woken Community aufs Parkett.
Gade inszeniert den Abend als temporeichen Schlagabtausch mit viel Wortwitz und verblüffenden Umkehrungen, der für beide Positionen Sympathie und Verständnis weckt – ohne zu belehren.
Herrlich F. Ströbel als Bohne, der seine traditionellen Einstellungen vom „Zipfelchen“ bis zu den „Hottentotten“ teils verzweifelt verteidigt und in jedes Fettnäpfchen, das sich ihm bietet, hineintritt und so zwischen die Fronten des aggressiv ausgetragenen Kulturkampfes gelangt. Felix Ströbel wird durch sein facettenreiches Spiel mit genialer Mimik und Gestik zum Star des Abends.
I. Ohelmann als Rieke, die von den woken Debatten so gar nichts versteht und mit ihren hinreißend dämlichen Kommentaren das Publikum zum Lachen bringt ist der zweite schauspielerische Höhepunkt des Abends, da sie die Pointen auf den Punkt setzt.
A. Utzelmann als Alina, bissig und nie um das letzte Wort verlegen, entpuppt sich als autoritäre und machtgeile Person wie die angeprangerte „alte weisse Männerwelt“.
T.I. Heise als Kevin, gibt den coolen, überzeugend woken „Instagramer“ im Fahrwasser der dominanten Alina.
J.B. Berchtold als Kim, junge Revoluzzerin und toughe Nervensäge, die sich schon als Praktikantin um ihre Work-Live-Balance sorgt.
Last but not least Reiner Schleberger als Pfarrer Koch, der mit seiner Kreuzungsgeschichte nicht zu Potte kommt.
Erneut zeigt sich: Am SHL formt sich unter der Intendantin ein Ensemble und man kann nur hoffen das diese Entwicklung weiterwächst.
Das Stück zeigt eindrucksvoll, dass nicht nur der Umgang der Geschlechter komplizierter wird, sondern auch das Minenfeld zwischen Boomern und Generation Z explosiver ist, als viele vermuten. Dennoch ist „Kalter weißer Mann“ ein amüsantes Plädoyer für mehr Gelassenheit und Toleranz. Dem Publikum hat die Gesellschaftssatire bestens gefallen.
NACHTKRITIK: Leserkritik: Bocksgesang (SHL, Rendsburg) #908 Reiner Schmedemann 02.02.2025 10:16
Am Samstag hatte die Tragödie „Bocksgesang“ von Franz Werfel in der Regie von Moritz Nikolaus Koch am SHL in Rendsburg Premiere. Werfels vom expressionistischen Pathos erfülltes Ideendrama wurde 1922 am Raimund-Theater in Wien uraufgeführt. Werfel definierte seinen Bocksgesang als „das ewig unerbittliche Bewusstsein vom Schöpfungsfehler, die lebendige Erkenntnis vom obersten Misslungenheitskoeffizienten und seine Korrektur“.
Themen des expressionistischen Dramas waren: die Wiedergewinnung der Innerlichkeit, die Wiederfindung des Menschen als Kreatur und die Verbrüderung aus der Solidarität des Menschseins. Die Dramen waren symbolhaft und ausdrucksstark um allgemeingültige Ideen als Weltanschauung zu vermitteln. Die Sprache war ekstatisch, eruptiv, glühend und hymnisch. Das expressionistische Theater nutzte theatralische Elemente und Kulissen mit Übertreibung und Verzerrung, um dem Publikum starke Emotionen und Ideen zu vermitteln. Wie in der Sprache war in der szenischen Gestaltung Reduktion das oberste Gebot.
Werfels Titel „Bocksgesang“ erinnert an griechische Tragödien, die aus Riten zu Ehren des Gottes Dionysos entstanden waren. Bocksgesang erzählt die Apokalypse der Erbsünde mittels metaphysischer, psychoanalytischer und revolutionärer Szenen, ohne Hoffnung auf eine innerweltliche Erlösung. Dennoch ist die Struktur des Bocksgesang bereits politisch trotz des lyrisch, philosophischen Stils und somit schon Teil der Neuen Sachlichkeit.
Der Missgestaltete (Bock) ist nicht das Symbol des Bösen, sondern das Symbol menschlichen Elends. Statt ihn als Bruder zu akzeptieren, machen ihn die Aufständischen erst zu ihrem Idol und dann zum Ungeheuer. Die betrogenen Menschen schaffen sich fantastische Kreaturen wie den „Bock – Sündenbock“ was sie von den wirklichen Feinden und vom revolutionären Kampf ablenkt. Der Missgestaltete hat noch keine politische Wirkung, was verdeutlicht, das Bocksgesang in der Übergangszeit vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit entstand.
Die Highlights des Abends waren die live gespielten Klangvariationen von Carolin Pook, die die Innerlichkeit des Geschehens ausdrucksstark kommentierte und das Programmheft von Lukas Rosenhagen, der Deutungsansätze des Stückes zur Diskussion anbot. Die Bühne von M. Weinand war am überzeugendsten in ihrer Kargheit, wenn ich mir dort mehr expressionistische Elemente gewünscht hätte. Die Kostüme in Ihrer Anlehnung an Zeit und Ort des Geschehens haben meiner Ansicht nach diesem Stück zwischen den Zeiten keinen Gefallen getan – zu folkloristisch.
Werfels „Bocksgesang“ sein zweites Drama in der Zeit zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit ist eine Chimäre, in der die Gegensätze dieser beiden Epochen nicht aufgelöst sind. Hier liegt für mich der Reiz des Stückes und die Herausforderung der Inszenierung. Moritz Nikolaus Moritz geht meiner Ansicht nach einen anderen Weg. Er erzählt die Story des Dramas und verschenkt die Auseinandersetzung mit den Widersprüchen des Stückes. Dennoch liefert das Ensemble (M. Grahnert, I. Oehlmann, T. I. Heise, M. Maecker, R. Schleberger, A. R. Schridde, F. Ströbel, T. Wild und Statisterie) schauspielerisch eine beeindruckende Leistung ab. Dort beeindruckte mich am stärksten R. Schleberger mit seinen Rollen als Babka, Physikus, Teiterlik denen er Innerlichkeit und Empathie verlieh und Jolie Büchner, die als Kruna beeindruckend debütierte. Die gelungensten Szenen waren für mich die Forderung der Landlosen nach Land von den Großgrundbesitzern, wo der Zeitbezug zur Migrationspolitik mehr als deutlich wurde und die Szene von T. Wild und I. Oehlmann in der sie hysterisch aber befreit lachen, dass sie vom Geheimnis (Sündenbock) befreit wurden, obgleich sie alles verloren hatten.
Bocksgesang ist Ausdruck des Zögerns Werfels zwischen historischer Revolution und metaphysischer Verklärung. Diesen Konflikt spüren wir auch wieder in unserer Zeit und hier liegt für mich die Herausforderung dieses Stückes, was mir zu kurz kam.
NACHTKRITIK: Leserkritik: Alle meine Männer, Rendsburg
#884Reiner Schmedemann13.10.2024 13:53
Am Samstag hatte die Komödie „Alle meine Männer“ von Ray Cooney in einer Bearbeitung von M. Barfoot und der Übersetzung von F.-Th. Mende am Schleswig-Holsteinischen Landestheater in Rendsburg Premiere.
Ray Cooney begann 1946 als Schauspieler, gründete 1983 die “Theatre of Comedy Company” in London. Cooney ist für humorvolle Komödien mit „absurder“ Komik bekannt. 1982 wurde „Run for your wife“ in London uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung fand im März 2024 am Theater Neubrandenburg in der Bearbeitung von M. Barfoot statt, in der aus dem Mann John die Frau Jackie wurde.
Jackie (Neele Frederike Maak), Taxifahrerin lebt den absoluten Bigamie-Traum mit zwei Ehemännern. Das Leben mit Mark (Gregor Imkamp) und Barry (Dennis Habermehl) funktioniert dank eines exakt ausgeklügelten Stundenplans. Ein Unfall und die Sorge von Mark und Barry um Jackie führen dann ins komödiantische Chaos. Jackie und ihre Freundin Stella (Karin Winkler) führen die Ehemänner und die Polizeiinspektoren (Maja Grahnert und René Rollin) in ein Labyrinth unglaublicher Ausreden und Lügen, die im Minutentakt eskalieren, bis keiner mehr durchblickt. Da werden Transvestie-Stories erlogen, Mönche beschworen, gute Feen zitiert, eigene Kinder erfunden, Lesben ins Feld geführt, um das vom Bigamie-Traum in Gefahr geratene Paradies zu retten.
Cooney´s Komödie steckt voller aberwitziger Wendungen und alle erdenklichen Klischees (Lesben, Schwule, „offene Zweierbeziehungen“, etc.) werden genutzt, um zum Schenkelklopfer zu avancieren. Nichts vom feinen britischen Humor eines Oscar Wilde´s.
Gelingt es Philippe Besson dem Regisseur und seinem Team (Bühne und Kostüme: Vinzenz Hegemann, Dramaturgie: Lukas Rosenhagen) einen Theaterabend zu kreieren, an dem kein Auge trocken bleibt?
In Hegemanns Bühne überlagern sich die Parallelwelten von Jackies Doppelleben. Das Ambiente beider Wohnungen verschmilzt zu einer. Obligatorische Türen schaffen die Grundlage für einen „Türenschwank“ mit exakten Auftritten und Abgängen. Die Kostüme entsprechen dem legeren Dresscode der frühen 70iger Jahre in „Good old Britain“. Aber die Bühne und Kostüme sind im Grunde ein Remake des Bühnenbildes der deutschen Erstaufführung.
Auch Besson bleibt dem Prinzip treu „never change a winning concept“ und inszeniert „Alle meine Männer“ als Farce: Temporeich mit Wortspielen, Unsinn, Absurdität angereichert mit Überzeichnungen, Klischees, Klamauk und der Jagd nach jedem zu ergatternden Lacher. Er gibt dem Affen Zucker! Der Funke zündet und das Publikum amüsiert sich köstlich.
Doch Garanten für diesen Erfolg sind die Schauspieler*innen. N.F. Maak und K. Winkler, die sich nichts schenken. Beide geben Vollgas und provozieren die Lacher mit Mimik, Gestik und vollem körperlichen Einsatz und keine Platitude ist zu schlicht, wenn der Lacher folgt. A.R. Schridde als schwuler Bobby erfüllt alle Klischees dieser Rolle und wird mit zum Liebling des Abends. R. Rollin provoziert mit seiner zurückhaltenden Art durch trockene Überraschungsäußerungen Lacher und Szenenapplaus. Die Männer Mark und Barry bleiben recht farblos, da hätte die Regie wirksamer sein können, denn G. Imkamp und D. Habermehl haben ihr komödiantisches Talent schon mehrfach unter Beweis gestellt.
Das Konzept ist aufgegangen: Spritzige Unterhaltung mit Allem, was Lacher provoziert, und das Publikum dankte mit stürmischen Applaus. Dank dem Ensemble für ihren Spaß an diesem Klamauk, der sicher volle Kassen bringt. Merci & Chapeau dem Ensemble.
Theater ist eben auch ein Wirtschaftsfaktor, der auch auf Zuschauerzahlen schauen muss. Solange der Spielplan ausgewogen bleibt und alle Genres bedient, um unterschiedliche Publikumswünsche zu erfüllen – fantastisch, doch etwas mehr Mut in Bezug auf mittlerweile Klassiker wie E. Jelinek oder S. Kane, würde auch einem Landestheater nicht schaden. Mit dieser Idee könnte man sich mal für die nächste Spielzeit befassen, denn auch dort gibt es noch Publikumsressourcen, die man für das Theater gewinnen kann.
NACHTKRITIK: Leserkritik: Eingeschlossene Gesellschaft, SHL
#842Reiner Schmedemann17.02.2024 15:27
Am Freitag hatte die gesellschaftssatirische Komödie von Jan Weiler „Eingeschlossene Gesellschaft“ in der Regie von Jörg Gade in den Kammerspielen des SHL in Rendsburg Premiere. Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Hörspiel von J. Weiler und war 2022 von Sönke Wortmann verfilmt worden. Die Uraufführung des Theaterstückes fand 2022 am Wolfgang-Borchert-Theater in Münster statt. Der Titel ist eine Anspielung auf das Drama „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre. In diesem Stück entlarven sich die persönlichen Abgründe dreier eingesperrter Personen, die konstatieren: „Die Hölle, das sind die anderen.“.
Weilers Story ist folgende: Eines Freitagnachmittags klopft es an der Lehrerzimmertür eines Gymnasiums. Sechs Lehrkräfte sind anwesend: der beliebte Sportlehrer Peter Mertens (Gregor Imkamp), die gehasste Musiklehrerin Heidi Lohmann (Illi Oehlmann), der Vertrauenslehrer Holger Arndt (Kai Möller), der Chemielehrer Bernd Vogel (Felix Ströbel), der konservative Lateinlehrer Klaus Engelhardt (René Rollin) und die junge Referendarin Sarah Schuster (Annika Utzelmann). Vor der Tür steht der ehrgeizige Vater Manfred Prohaska (Dennis Habermehl), der erreichen will, dass sein Sohn zum Abitur zugelassen wird. Ausschlaggebend ist ein fehlender Punkt, den der Lateinlehrer keinesfalls geben will. Verzweifelt zieht der Vater eine Waffe und verschließt das Lehrerzimmer. Die Lehrkräfte sollen über die Vergabe dieses einen Punktes diskutieren. Doch schnell geht es nicht mehr um den Schüler, sondern es bröckeln die bürgerlichen Fassaden und jahrelang angesammelte Schmutzwäsche wird gewaschen, wodurch die persönlichen Abgründe der Lehrkräfte deutlich werden. Am Ende steht die Frage, ob diese Menschen überhaupt berechtigt sind, über einen Schüler zu richten.
Mit geschliffenen Dialogen und spitzen Pointen wird dies erzählt, was für Lacher im Publikum garantiert. Die Bühne ein mit Landkarten vollgestopftes Lehrerzimmer und in Kostümen heutiger Zeit (Bühne, Kostüme: Martin Apelt). J. Gade inszeniert diese Komödie recht getreu am Drehbuch des Filmes. Der Lehrkörper wird mit Wortwitz und überzeichneten, klischeehaften Charakteren aufs Korn genommen. Im Zentrum der Lateinlehrer, dem ein grandios spielender R. Rollin das knarzig, schrullige Profil des unbelehrbaren Altsprachlers und pädagogischen Richters verleiht. Von ähnlichem Kaliber steht ihm zur Seite in glänzender Spiellaune I. Oehlmann als Französischlehrerin Lohmann, die Minderleister verhöhnt, an „baseborn“ Schülern*innen keine Energien verschwendet und Fächer verachtet, die keine Kultur vermitteln. Gegenspieler sind der bei der Schülerschaft beliebte Sportlehrer auf Grund seines jovialen, antiautoritären Auftretens, das G. Imkamp pointenreich auf die Bretter zaubert und die Referendarin als Kritikerin am herrschenden Bildungssystem, die den Schulalltag revolutionieren möchte, wird von A. Utzelmann als selbstbewusste, selbstbestimmte Frau verkörpert. Kai Möller verkörpert präzis und überzeugend den Vertrauenslehrer und Problemversteher zwischen wechselnden Fronten da. Felix Ströbel brilliert als verklemmter und gemobbter Kollege im Kollegium. Ungeliebter Chemiepauker, in dessen Labor eine Versuchsanordnung brodelt – eine Zeitbombe – während im Lehrerzimmer die Geiselname läuft. D. Habermehl als besorgter Vater um die Zukunft seines Sohnes übt überzeugend Selbstjustiz. Am Beeindruckendsten fand ich im glänzend aufspielenden Ensemble R. Rollin und F. Ströbel.
Diese sechs überzeichneten Charaktere liefern sich einen skurril, komödiantischen Mehrfrontenkrieg, der das Publikum bestens unterhielt und 120 Minuten im Fluge verstreichen ließ. Ein vergnüglicher Abend indem auf engstem Raum Weltansichten aufeinanderprallen – und Egos, jede Menge Egos. Enden tut dieses vergnügliche Spektakel mit einem Knall, den man selbst erleben sollte.
Nachtkritik: Leser*innenkritik: Dorfpunks, Schleswig
#873Reiner Schmedemann06.07.2024 11:24
Das SHL beendet seine Schauspielsaison 2023/24 mit der Inszenierung „DORFPUNKS“ von M.N. Koch nach dem Roman von Rocko Schamoni.
Der Roman erschien 2004, 2008 inszenierte Studio Braun (Jacques Palminger, Heinz Strunk und Rocko Schamoni) am Schauspielhaus Hamburg „Dorfpunks – Die Blüten der Gewalt“ und 2009 erschien die Verfilmung des Buches von Lars Jessen.
Der autobiografische Roman erzählt die Lebensgeschichte Roddy´s (D. Habermehl) aus der Ich-Perspektive vom 12. – 22. Lebensjahr in einem fiktiven Dorf in Schleswig-Holstein. Seine Eltern – Lehrer – die ihren Traum ein altes Bauernhaus zu renovieren, leben. Als Fremdling muss sich Roddy in die Dorfgemeinschaft einfügen. Mit Gleichgesinnten gründet er eine Punkband, bricht die Schule ab und macht eine Töpferlehre auf Wunsch seiner Mutter, bevor er in die weite Welt aufbricht. Schamoni beschreibt das Lebensgefühl Jugendlicher in den 70iger und 80iger Jahren. Es ist die Odyssee Roddy´s durch die Irrungen und Wirrungen der Pubertät in denen er sich von den Lebensidealen seiner Eltern und seiner „Helikopter Mutter“ löst. Dies gelingt mittels der Musik: Hardrock, Punkrock und dem Jugendtsunami Punk der in England ausgebrochen bis in die dörfliche Idylle Schleswig-Holsteins schwappte.
Till Briegleb schrieb in der Süddeutschen Zeitung 2008 : „Theaterpunks“ sei die treffende Bezeichnung für all jene, die, wie Schorsch Kamerun, Christoph Schlingensief, Rene Pollesch oder eben Studio Braun „mit einer unglaublichen Begeisterung für Verkleidungen ihr altes stachliges Weltbild in eine ironische Kunstsprache gerettet haben“. Die sprudelnde Fantasie der drei Regisseure von „Dorfpunks“ lasse Schamonis „trist-komische Originalerzählung“ auf der Bühne wirken, als sei „die Augsburger Puppenkiste auf LSD“. Nur wenn die „Klischeevorlagen“ nicht mehr „getoppt“ werden könnten, verebbe das „Kasperletheater“ vorübergehend. „Doch wenn die mitgebrachten Nichtschauspieler und die drei Kostümpunks selbst hemmungslos werden und sich um keine Theaterkonvention mehr scheren, gelingt Studio Braun eine ansteckende Satire auf den Erlebniszwang und die Depressionen im globalen Dorf.“
M.N. Koch weiß um die Möglichkeiten des Landestheaters und lässt somit alles im Probenkeller einer Punkband spielen (Bühne und Kostüme: M. Weinand). Koch setzt voll und ganz auf ein junges, spielwütiges Ensemble (D. Habermehl, N.F. Maak, S.R. Scholz und A.R. Schridde) und der Plot gelingt. Habermehl spielt Roddy und führt als Erzähler durch die einzelnen Stationen des Stückes. Gespielt wird schrecklich, schöner Punkrock, gekonnt einstudiert und improvisiert von den Akteuren. Koch fängt das Lebensgefühl der 70iger und 80iger Jahre mit ironischen, satirischen Bildern ein und so mancher Zuschauer*in jenseits der sechzig hat an diesem Abend so manches „Déjà-vu“ Erlebnis. Spaß ist das Motto des Abends aber nicht kritiklos.
Glanzpunkte des Abends sind N.M. Maak mit ihrem schnoddrigen, plattdeutschen Slang und zielsicher gesetzten Pointen, A.R. Schridde als David Bowie und S.R. Scholz als Tante Käthe und Riesenschnauzer Rasmus. Gag jagt Gag und Klischee jagt Klischee untermalt von gekonnt talentlosem Punkrock. Dieser Abend ist ein furioser Abschied des Schauspiels in die Sommerpause. Nonsens nicht frei von Kritik und voller Lebensfreude. M.N. Koch und das fantastisch aufspielende Ensemble haben den Punktsunami für 90ig Minuten aufleben lassen.
Die taz schrieb damals zur Dorfpunk-Inszenierung von Studio Braun „lustiger als hierzulande erlaubt und ernster als hierzulande gewünscht“, dem kann ich mich immer noch anschließen bei dieser Inszenierung von M.N. Koch. Ein gelungenes Revival eines Lebensgefühls, das für Großteile des Publikums mehr als fünfzig Jahre zurück liegt.
Als Zugabe dann noch das Blockflöten-Quartett „Blockflöten des Todes“ und der Saal tobte. Perfekte Unterhaltung – Merci & Chapeau.